"Die Rosa-Kitsch Jahre" (Interview, 1984)

 

   


Musikzeitung 1981

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Mayo als "Bobby Brown"
Rosa Kitsch 1981

 

Heute wird sicher dem Großteil meines Publikums dieser Teil meiner Biographie weitgehend unbekannt sein. Über meine Erfahrungen und Erlebnisse in der aufkeimenden "schwulen Kleinkunstszene" mit Rosa Kitsch könnte ich sicher viele Seiten schreiben, aber ich denke ein Interview, das für den Düsseldorfer "Überblick" im Januar 1984 konzipiert wurde, mag genügend Auskunft über diese Zeit geben!
Überblick (Ü): "Ein halbes Jahr seit der Trennung von Rosa Kitsch , wie fühlst Du Dich?"

Mayo (M): "Ziemlich leer, um ehrlich zu sein, denn die letzten dreieinhalb Jahre mit Ros Kitsch waren schon sehr aufregend und turbulent. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so viel herumgekommen!"

Ü.: "Stimmt, ihr ward ja doch ziemlich oft auf Tournée, und das nicht nur in der Bundesrepublik!?"

M.: "Ja, alles zwischen Hamburg und Konstanz, Aachen und Berlin wurde beglückt. Aber auch in Amsterdam und Zürich haben wir gastiert. Mit ganz unterschiedlichen Reaktionen. Amsterdam war natürlich schon sehr liberal, immerhin gibt's da schon seit einigen Jahren den >Homodag<, der sich großer Beliebtheit erfreut. Für ein Wochenende kann sich dann jeder auf's Unterhaltsamste mit schwuler Subkultur, aber auch mit den Problemen schwuler Emanzipation vertraut machen. In Berlin haben wir vor zwei Jahren auch an so einem ähnlichem Straßenfest, eigentlich mehr eine Demo, teilgenommen. Das nannte sich dann aber >Christopher-Street-Day<. Doch der wurde aber von der Allgemeinheit eher etwas argwöhnisch beäugt, hat dennoch Spaß gemacht. Vielleicht gibt es das ja auch mal hier im Rheinland ..."

Ü.: "Habt ihr denn euer Publikum überwiegend aus der schwulen Szene rekrutiert?"

M.: "Hey, das klingt aber sehr militärisch - noch sind die Leute freiwillig in unsere Shows gekommen ..."

Ü.: " ... sorry, ich meinte doch ..."

M.: " ... schon OK! Aber vor vier Jahren gab es keine >schwule Szene< in dem Sinne, wie sie sich heute darstellt! >Schwule Szene< bedeutete da eher die Kneipen-Szene, in der sich das schwule Leben fast ausschließlich abspielte. 1979 habe ich persönlich zum ersten Mal einem >offen schwulen< Konzert-Event beigewohnt, das war in Aachen, ein Konzert der Hamburger Schwulentruppe BRÜHWARM (u.a. mit Corny Littmann). Sehr mutige Mischung aus Punk, Travestie, schwulem Engagement, mit fast manischem Kontakt zum Publikum! Denen bin ich dann, ganz in der Tradition der 70er Jahre Groupies, eine Weile hinterher gereist und war sogar mit einem der Mitglieder, Ernst Meibeck, befreundet ...
... jetzt schweife ich aber ab, wie!? ..."

Ü.: ".. ja, ja, wir waren gerade bei >Deinem< Publikum ... hattest Du denn auch Groupies?"

M.: "Ähm, ja, das blieb auch uns nicht erspart, meistens waren diese >Groupies< aber weiblicher Natur, was gezeigt hat, dass wir ein sehr breit gefächertes Spektrum an Publikum hatten.
Das war aber auch gut so, denn mit unserer Mischung aus schrägem Entertainment und schwulen-emanzipatorischen Sketchen und Szenen sollten ja auch gerade Leute angesprochen werden, die zumindest damals noch Berührungsängste mit Schwulen hatten!
Am Ende aber war die Mischung des Publikums unglaublich! Da war alles vertreten, von Senioren Paaren (Hetero & Homo), über schwangerne Mütter bis hin zur unvergesslichen Stadt-Transe aus Wolfsburg, in die sich doch glatt unser (meist heterosexueller) Techniker Manfred verknallte!"

Ü.: "So, eure Truppe war also auch >gemischt<?

M.: "Klar, Toleranz bis in die eigenen Reihen!"

Ü.: "Apropos Toleranz, gab es auch negative Zwischenfälle?"

M.: "Nicht dass ich mich erinnere. Und wenn, dannn waren die ganz anderer Natur, zum Beispiel in Berlin in der UFA-Fabrik, hatte ich mal mit einem Hund auf der Bühne zu kämpfen. Der wollte sich während meiner Tanzpantomime unbedingt mein rotes Tanzband als Souvenir schnappen, sehr komisch!"

 

Ü.: "Das war Deine legendäre Pantomime auf Steve Harleys >Sebastian< - bei Euren Abschieds-Vorstellungen im hiesigen >Hansa Palast< habe ich da während dieser Nummer viele feuchte Augenpaare im Publikum gesehen..."

M.: " ... jetzt mach' mich aber nicht verlegen! Mein Harlekin-Charakter mit dieser sehr intensiven Musik von Steve Harley wurde über die Jahre zum Selbstläufer - genauso wie unsere Märchen-Trilogie vom >Aschenpüppi<, einer homoerotischen Variante vom Aschenputtel."

Ü.: "Das habt ihr doch jedes Jahr aktualisiert, wenn ich mich recht erinnere?"

M.: "Ja, zuerst war es nur die Persiflage auf das Original der Gebrüder Grimm, dann wollten wir die Geschichte weiter spinnen und da kam uns die Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana gerade richtig! Zum Schluss gab es dann noch die >Krieg der Sterne< Fassung, das hieß dann bei uns >Krieg der Tunten - Aschenpüppi im Weltraum<. Diese theatralischen Einlagen nahmen am Ende immer mehr Raum ein ..."

Ü.: " ... so dass ihr vor zwei Jahren Eure eigene >feste< Theaterbühne gegründet habt ..."

M.: " .. genau, das war dann eine logische Weiterentwicklung, der wir einfach ganz intuitiv gefolgt sind, schließlich hatte keiner von uns eine klassische Schauspielausbildung!"

Ü.: "Und dennoch habt ihr die Premiere Eures Theaters, das ihr nicht ganz unbescheiden >die scala< getauft habt, direkt mit einem Botho Strauss Stück bespielt, nämlich >Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle>"

M.: "Ich bin sicher diese Portion an Unbekümmertheit war ein guter Ansatz, um an ein solches Stück heranzugehen. Darüberhinaus bediente gerade dieses Stück auch eine Menge an vorhandenem Potential innerhalb der Gruppe. Andererseits zeigten sich auch Grenzen bei einigen Mitspielern. Jetzt, nach zwei Jahren Theaterbetrieb, sind eh' nur noch Alexander und ich übrig geblieben, die sich um >die scala< kümmern. Mittlerweile haben wir auch eine ganze Reihe von Gästen gehabt. Nächste Woche kommt Georgette Dee für zwei Abende zu uns, darauf freuen wir uns ganz besonders!"

U.: "Von der >freien Tournée-Show< zur >sesshaften Theatergruppe<, lag in diesem Wandel auch das Ende von Rosa Kitsch begründet?"

M.: "Mit Sicherheit hat die Gründung der >scala< im März 1982 zu einer Polarisierung innerhalb der Gruppe geführt. Als wir dann mit unserer sehr erfolgreichen Herbst-Tournée 1982 in immer professionelles Fahrwasser gerieten, kam es bei den Plänen zum neuen Programm, anfang letzten Jahres, tatsächlich zur Spaltung des Ensembles. Drei von uns wollten mit professionellem Touch weitermachen, wohingegen die andere Hälfte, aufgrund ihrer Staatsexamen aber auch privater Gründe, sich gegen eine kontinuierliche Weiterentwicklung entschieden."


Das "scala ensebmble" 1982
  Ü.: "Wie sehen abschließend Deine Pläne für die nahe Zukunft aus?"

M.: "Bei mir stehen die Zeichen ein wenig auf >Pause<.
In den letzten drei Jahren habe ich neben Rosa Kitsch sowieso noch diverse Theaterprojekte gehabt, u.a. zwei Produktionen mit der Berliner Kammeroper, eine in Berlin und die andere (>Pierrot Lunaire< v, Schoenberg) hier in Düsseldorf.
Zur Zeit spielen Alexander und ich noch >Die Stärkere< (v. Strindberg) sowie >Die geliebte Stimme< (v. Cocteau).

Alexander plant mit ein paar Freunden ein Horror-Stück frei nach Grand Guignol aus Frankreich.

Mich interessiert zunehmend auch das Chanson-Genre und seit letztem Herbst habe ich sogar Gesangsunterricht! Demnächst suche ich mir noch einen Saxophonlehrer, mal sehen ob ich Talent dazu habe, ein Saxophon und eine Menge Lust habe ich bereits!"

Ü.: "Wir wünschen Dir alles Gute und toi, toi, toi!"

zurück